dies ist ein Text aus dem Buch von Peter
Michels: "Aufstand der Ghettos"
|
"Ich habe alle Hoffnungen auf privates Glück in diesem
Leben aufgegeben, um für das Wohl unserer Gemeinschaft zu wirken.
Ich habe einen Plan. Ich werde mich einsetzen, einsetzen, einsetzen,
bis ein Fortschritt erzielt oder mein Leben beendet ist."
|
|
George Jackson, Feldmarschall der Black Panther Party,
geboren 23.9.1941, erschossen im San Quentin Gefängnis am 21.8.1971
|
Black Panther Party:
Die
Avantgarde-
Funktion
des
Lumpenproletariats
|
|
Die Black Panther Party wurde im Oktober 1966 von Huey P. Newton und Bobby
Seale in Oakland, Kalifornien, als die erste revolutionäre Organisation
des farbigen Lumpenproletariats in den USA gegründet.
|
»Was diese beiden Brüder taten: Sie gingen in die schwarzen
Gemeinden von Oakland, redeten mit den Leuten und versuchten herauszufinden,
was deren wirkliche Bedürfnisse und Wünsche sind. Diese Bedürfnisse
und Wünsche sind die Grundlage für das 1o-Punkte-Programm
der Black Panther Party geworden. Einer der Grundpfeiler der Black PantherIdeologie
ist die Selbstverteidigung.
In allen schwarzen Gemeinden Amerikas ist das schwarze Volk einer systematischen
und vorsätzlichen Art von Brutalität und Gewalt seitensder
Polizei ausgesetzt.Die angebliche Funktion der Polizei ist es, den Bürgern
Schutz zu bieten. Das gilt jedoch nicht für die schwarzenGemeinden.
Hier ist es die Hauptaufgabe der Polizei, dafür zu sorgen, dass
das schwarze Volk in seinem grausamen, ihm aufgezwungenenStatus verharrt
und sicherzustellen, dass wir - die sogenannten Wilden - nicht unruhig
werden. «
|
Ausgehend von dem Konzept einer Gemeindeorganisation zum Schutz der farbigen
Slumbevölkerung gegen Übergriffe und Brutalität der Polizeientwickelte
sich die BlackPanther Party zur treibenden revolutionären Kraft der
Vereinigten Staaten, die von FBI-Chef Edgar Hoover im Juli ig69 als »die
grössteBedrohung für die innere Sicherheit des Landes«
bezeichnet wurde. Soweit sich die Black Panther Party nicht selbst vorwiegend
aus Elementen des Lumpenproletariats rekrutierte (z. B. Eldridge Cleaver,
Protokoll Nr.1 vom 19. April 1968:»Ich bin dreiunddreissig Jahre
alt [...] Von meinem sechzehnten Lebensjahr an verbrachte ich fünfzehn
Jahre abwechselnd in Freiheit und im Gefängnis, davon die letzten
neun Jahre in ununterbrochener Haft.«, betrachtete sie doch bis
vor kurzem das Lumpenproletariat als wichtigste, wenn nichtsogar aussliessliche
Zielgruppe ihrer Organisationsbemühungen, ohne allerdings den Begriff
»Lumpenproletariat« einer präzisen Bestimmung zu unterziehen.
|
|
Eldrige Cleaver schrieb in The Black Panther vom14.12.1970:
|
»Es gibt viele Leute in der schwarzen Gemeinde, die keinen Platz
in der Wirtschaft finden, die nicht in die soziale Struktur passen und
nicht in das politische System. Sie haben keine Vertretung, sie habenkeine
Sicherheit, und die betrachten wir als Lumpenproletariat. Darin hat die
Black Panther Party ihre soziale Basis.«
|
John Turner, Mitglied der Black Panther Party in Oakland, hat in einem
Interview mit dem Verfasser (28. Oktober1970) die Organisationsweise der
Partei unter demLumpenproletariat beschrieben :
|
»Wenn wir vom Lumpenproletariat sprechen, dann meinen wir, dass
unsere Brüder und Schwestern von der Strasse unsere wichtigsten Verbündeten
sein werden, weil unsere 9oojährige geschichtliche Erfahrung einige
der klügsten Köpfe heranreifen liess, nämlich jene Brüder
und Schwestern, die - wie wir es nennen - eine »Geschicklichkeitsmentalität«
entwickelt haben.
Durchdiese Mëntalität ist es ihnen möglich geworden, ihre
Umweltverhältnisse so zu manipulieren, dass sie überleben können.
Nimm einen Zuhälter, einen Rauschgiftschieber oder einen Hehler;
alle diese Brüder und Schwestern haben auf die objektiven Bedingungen
reagiert, sie analysiert und sich gesagt:
Nun gut, hier ist ein Weg, wie ich überleben kann, von einem Tag
zum anderen. Und sie machen das sogeschickt, dass es mitunter Monate oder
Jahre braucht, bis ihnen die Polzei auf die Schliche kommt. . . .
|
|
. . . Aber wir sagen, dass diese Brüder eine Mentalität haben,
die wir gebrauchen können. Alles, was denen fehlt, ist eine politische
Ideologie. Wir müssen sie mit einer poltischenIdeologie bewaffnen
und sie für unseren Kampf einsetzen.
Das sind die Brüder und Schwestern, die alle ihre Informationen tagtäglich
von der Strasse beziehen. Die kennen jeden einzelnen in der Gemeinde;
die kennen die Örtlichkeiten; die kennen die Bullen und wissen, wer
die Spitzel sind. Wenn ein Bruder nur anfängt, seine »Geschicklichkeitsmentalität«
politisch anzuwenden, wird er sie gegen die Bullen richten. . . .
|
|
|
. . . Aber alles hängt davon ab, dass wir dem Volk die grundlegenden
Bedürfnisse erfüllen. So etwa, wenn einer Probleme mit dem
Alkohol hat und wir jeden Morgen seine Kinder füttern. Der nimmt
das schon wahr und kommt bei uns vorbei, um zu sehen, was hier los ist.
Und wenn er kommt, wird er die Brüder und Schwestern treffen, die
für die Partei arbeiten und mit ihnen ins Gespräch kommen.
So fangen wir an, ihn zu erziehen und sagen ihm, dass er es nicht zulassen
sollte, sich für seine letzten Pfennige von einem Weissen mit Schnaps
vollpumpen zu lassen.
Sobald die Leute sehen, dass manInteresse für sie aufbringt, werden
sie einen lieben und unterstützen. Und das ist die Basis der Partei
in der Gemeinde und der Grund,warum Bobby Seale sagte, dass wir unsere
Büros zu verlassen und in die Gemeinde zu gehen haben, um diese
Programme aufzubauen, 24 Stunden am Tag unter den Leuten zu sein, sie
kennenzulernen und Interesse für ihre Belange zu zeigen. Die Leute
werden uns dafür liebenund beschützen.
Deshalb kümmern wir uns um das Lumpenproletariat und das Volk in
unserer Gemeinde und darum geht es uns in unserem Programm:
um die Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse des Volkes.
Und deshalb wird - wenn die Zeit gekommen ist - das Volkauf unserer
Seite sein.«
|
Die historische Zeitspanne ist zu kurz, um endgültige Aussagen
über dauerhafte Organisationserfolge der BlackPanther Party machen
zu können, doch kann nicht bestritten werden, dass sich das politische
Bewusstsein weiter Teile desLumpenproletariats in den letzten Jahren entfaltet
hat und hier ein revolutionäres Potential entstanden ist. Eldridge
Cleaver schreibt inseinem »Brief an die Lumpen« vom 28. September
1971
|
»Als die Lumpen zum ersten Mal die Alternative organisierter
revolutionärer Gewalt gegen die organisierte reaktionäre Gewalt
der herrschenden Gesellschaft stellten, fanden sich die Lumpen selbst
isoliert. Angesichts der Klagen und Forderungen der Lumpen, wie sie
im 1o-Punkte-Programm und in der Plattform der Black Panther Party zusammengefasst
waren, gerieten die anderen Klassen in Panik und distanzierten sich
von den Lumpen so weit sie nur konnten.
Die Tatsache, dass die Lumpen tatsächlich zum Gewehr griffen und
es gebrauchten, verdrehte vielen Leuten den Verstand, von denen angenommen
wurde, dass sie Freunde einer gerechten Sache seien [. . .]
Die Lumpen sind sich nun ihrer selbst als Avantgarde der Revolution
in Babylon bewusst. Seit dem Ausbruch der Rebellion in Watts1965 sind
die Lumpen die wichtigste Triebkraft in Babylongewesen.
Durch ihre Aktionen haben sie die Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft gezwungen wurden,
ihre Forderungen zur Kenntnis zu nehmen. Es ist wahr, dass die offizielle
Reaktion der Schweine auf die Lumpen in dem Versuch sie zu unterdrücken
bestand, durch Gefängnis oder den Tod auf der Strasse. Aber die
Lumpen, Millionen an der Zahl, haben begonnen, zurückzuschlagen,
jedes Mal stärker und auf einer höheren Ebene politischen
Bewusstseins, organisatorischer Sachkenntnisund mit einer höheren
Form des Kampfes. «
|
Die Eskalation der politischen Gefängnisrevolten vom Manhattan House
of Detention, NewYork City, im August1970 bis hin zur Revolte in Attica
im September 1971 liefert ein blasses Spiegelbild der vor allem von der
Black Panther Party eingeleiteten Bewusstseinsveränderung unter dem
farbigen Lumpenproletariat, ebenso wie der Befreiungsversuch des 17- jährigen
Jonathan Jackson im Marin County Courthouse von San Rafael am 7. August
1970 und die Gefängnisbriefe seines am 21 August 1971 erschossenen
Bruders George Jackson Zeugnis ablegen von den veränderten subjektiven
Bedingungen zahlloser politischer Häftlinge und revolutionärer
Lumpenproletarier.
|
Eldridge Cleaver stellt in seinem »Brief an die Lumpen«
fest:»Die Lumpen haben einen Eid geleistet: zu töten, zu
zerstören«, und fährt fort:
|
»An diesem Punkt haben die Lumpen sogar die Furcht vor dem
Tod verloren, die sie zu besiegen hatten, ehe sie töten konnten.
Sie fühlen sich nicht mehr als Mitglieder einer Minderheitengruppe.
Sie wissen, dass sie unbesiegbar und den Menschen gleich sind.«
|
Doch selbst angesichts der von der sslack Panther Party offenbar weitgefassten
Definition des Lumpenproletariats wäre es falsch, die Bevölkerung
schwarzer Gemeinden und schwarzer Ghettos zum gegebenen Zeitpunkt in ihrer
Gesamtheit als Angehörige des Lumpenproletariats zu bezeichnen. Huey
P. Newton hat in seiner Bostoner Rede vom 28. 11.1970 allerdings auf die
materielle Grundlage verwiesen, die in der Spätphase des Kapitalismus
eine Zunahme des Lumpenproletariats erwarten lässt und damit der
Organisationsbemühung um diese deklassierte Schicht zunehmend Rechtfertigung
verschafft:
|
»Während (wir) sehen, dass dasLumpenproletariat die Minderheit
und das Proletariat die Mehrheit bildet, sehen wir auch, dass sich die
Technologie derart rasch entwickelt, dass wir von der Automation ausgehend
zur Kybernetisierung und dann wahrscheinlich zur Technokratie gelangen
werden (. . .] Wenn die Herrschaftsclique an der Macht bleibt, wird
die proletarische Arbeiterklasse unweigerlich im Niedergang begriffen
sein; denn die proletarischen Arbeiter werden nicht mehr verwendbar
sein und deshalb die Reihen der Lumpen auffüllen, die nicht verwendbar
sind. Nicht verwendbar, weil die Herrschaftsclique sie nicht länger
braucht.«
Doch neben dem rhetorischen Bekenntnis zur notwendigen Kooperation mit
dem arbeitenden Proletariat lieferte die Black Panther Party bisher
keine konkreten Beweise ihres Einbruchs in die Arbeiterklasse. Newtons
Hinweis, dass die in den letzten Jahren gewachsene Militanz schwarzer
Arbeiter nur auf dem Hintergrund der militanten Kämpfe in den Gemeinden
zu erklären sei, verschleiert eher die Erfolglosigkeit der, Black
Panther Party in ihren unmittelbaren Organisationsversuchen an den Stätten
der Produktion, ohne dass die Wechselwirkung zwischen Gemeindeorganisation
und Arbeiterorganisation hier bestritten oder sogar negiert werden soll.
Es bleibt dahingestellt, ob mit der Verlegung des National Headquarters
nach Atlanta, Georgia (angekündigt in The Black Panther vom 18.
September1971), eine Umstrukturierung der Partei und ihrer Prioritäten
verbunden ist, die die Partei aus ihrer gegenwärtigen Stagnation
befreien würde.
|
Aus derTatsache, dass das schwarze Volk in den Vereinigten Staaten
am stärksten unter der kollektiven Unterdrückung leidet und
am nachhaltigsten von der durch die technologische Entwicklung bedingten
Verelendung des Proletariats bedroht ist, leitet die Black Panther Party
die Hypothese von der Avantgardefunktion des farbigen Lumpenproletariats
in der Revolution ab. Daraus, dass das (farbige) Proletariat eine untergehende
Klasse sei, folgert Newton in seiner Bostoner Rede, dass das Proletariat
als zukünftiges Lumpenproletariat der wichtigste Bündnispartner
der Black Panther Party sei und verwies auf das Beispiel Lenins, der aus
Einsicht in die gesellschaftlichen Veränderungen in Russland 1927
auf die Klasse des Proletariats setzte, obwohl sie sich zu diesem Zeitpunkt
gegenüber den Bauern in derMinderheit befand.
In einer Analyse des Frankfurter Black Panther Solidaritätskomitees
heisst es dazu:
|
»Die »orthodoxen« marxistischen Kritiker stehen vor
der für sie paradoxen Tatsache, dass die »klassische«
Avantgarde ihre Avantgarderolle anscheinend erst in den »kommenden
Klassenkämpfen« wahrnehmen will, dass aktuell der Kampf auf
höchstem Niveau nicht von produktiven Arbeitern geführt wird.«
|
Nicht zuletzt Herbert Marcuse hat in bezug auf Organisationsfragen in
den USA vor der Fetischisierung des Klassenbegriffsgewarnt :
|
»Mit den Strukturveränderungen im Kapitalismus verändern
sich auch die Klassen und ihre Lage. Nichts ist für einen Marxisten
unzulässiger und gefährlicher, als einen verdinglichten Begriff
der Arbeiterklasse zu benutzen.«
|
Es ist nur ein scheinbarer Widerspruchzu Newtons Einschätzung des
klassischen Proletariats als künftigen Bündnispartner wenn Cleaver
erklärt:
»Tatsache ist, dass dieArbeiterklasse unserer Zeit eine neue industrielle
Elite geworden ist, die eher den chauvinistischen Eliten der selbstsüchtigen
Handwerks-und Handelsgilden aus Marx' Zeiten gleicht als den brodelnden
Massen, die , von abgrundtiefer Armut niedergedrückt waren«,da
Cleaver hier eher die weisse Facharbeiterschaft (»White collar«)
als das von künftiger Arbeitslosigkeit bedrohte proletarische Arbeiterreservoir
im Auge hat. Cleaver selbst verwies auf den »gleichmachenden Effekt
des Kolonisationsprozesses« und die Tatsache, »dass alle
Schwarzen kolonisiert sind, sogar wenn einige von ihnen bevorzugte Stellungen
innerhalb der Systeme innehaben, die die kolonisierenden Unterdrücker
[. . .] aufgerichtet haben«
|
|
Huey P. Newton hat in Boston zwardarauf hingewiesen, dass die Black
Panther Party nicht untätig abwarten werde, bis das Proletariat in
das Lumpenproletariat abgesunken sei, um auch dieses traditionelle Avantgardepotential
zu organisieren:
|
»Die Black Panther Party sagt, dass es vollständig korrekt
ist, das Proletariat zu organisieren, denn wenngleich es aus den Fabriken
geworfen und »unverwendbare Arbeitslose« oder »Lumpen«
genannt werden wird, wird dadurch sein Interesse zu leben nicht aufhören
oder transformiert werden, und um zu leben, braucht es zu essen. Sein
grösstes Interesse wird also darin liegen, die Maschinerie zu ergreifen,
die es selbst geschaffen hat, um den Reichtum zu schaffen, den es und
seine Brüder zum Leben brauchen [. . .] Heute geht es darum, dass
wir das Bewusstsein der Menschen heben müssen, um ein klares Bildvon
dem zu gewinnen, was getan werden muss.«
|
Die Befürchtung, dass dies nicht der Fall sein wird, sondern sich
die Partei unter derFührungsgruppe um Huey P. Newton nach der Loslösung
von der Internationalen Sektion der BPP in Algier im Zusammenhang mit
dem Ausschluss der »New York 21« verstärkt auf den Aufbau
der ohne eine umfassende revolutionäre Strategie zu reformistischen
Massnahmen absinkenden »Überlebensprogramme~ (»Survival
Pending Revolution«) konzentriert und sich bereits von der ehemals
zentralen Frage der bewaffneten Selbstverteidigung und des bewaffneten
Kampfes distanzierte,hat sich durch die kategorische Weigerung des Central
Headquarters in Oakland, dem Verfasser im Herbst 1971 Antwort auf die
für die Black Panther Party entscheidenden Zukunfts£ragen Auskunft
zu geben, nur noch verstärkt.
Dadurch und durch das Fehlen einer neueren Klassenanalyse wie einer klar
definierten revolutionären Strategie der inzwischen von vielen Seiten
attackierten Newton-Fraktion erklärt sich die Auswahl der hier vorgelegten
Dokumentation.
|
|
Interessenten seien auf die über die Black Panther Party informierenden
Schriftenverwiesen.
Die Dokumentation gilt vorwiegend jüngeren und in Deutschland weitgehend
unbekannten Bewegungen und Organisationen,die den unbestreitbaren Einfluss
der Black Panther Party, in deren Gefolge sie entstanden sind, untermauern
und trotz aller Differenzen und in einigen Fällen weiterführender
Ansätze dem Vorbild Huey P. Newtons verpflichtet sind, von dem Eldridge
Cleaver sagte:
»Was Huey im Wesentlichen geleistet hat, war, dass er eine Ideologie
und Methode zur Organisation des schwarzen städtischen Lumpenproletariats
lieferte. Mit dieser ideologischen Perspektive und Methode bewaffnet,
hat Huey das schwarze Lumpenproletariat als das vergessene Volk am Boden
der Gesellschaft in die Avantgarde des Proletariats transformiert. «
|
|